Braunschweig, 15.11.2012

Mut machen
10. Braunschweiger Gesundheitstag thematisierte „heiße Eisen“

Zum 10. Mal hatte der Braunschweiger Verein Pro Patient e.V. aktiv werden in der Brunsviga eine offene Podiumsdiskussion mit hochrangigen Referenten zu aktuellen medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen veranstaltet - zu „brennenden Fragen“, wie die Veranstalter betonten.

So zeigte sich auch die erste Referentin, Dr. Carola Reimann (SPD) als Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag „durch und durch unzufrieden“ mit der aktuellen Fassung des Patientenrechtegesetzes, das sie als kaum tragfähigen Kompromiss kritisierte. Gemeinsam mit den FDP-Politikern  Daniel Bahr und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte Reimann an dem Gesetzentwurf gearbeitet, doch: „Was auf dem Wunschzettel stand wurde nicht umgesetzt. Ich hätte gerne einen Här-tefallfonds nach Wiener Modell gehabt. Es fehlt auch der ganze Bereich Qualitätssiche-rung bei Medizingeräten und Implantaten, und was das für Folgen hat haben wir gera-de bei den Brustimplantaten gesehen. Ein einsehbares Register zur Qualitätssicherung hätte ebenso in ein Patientenrechtegesetz gehört wie eine partielle Beweislastumkehr zugunsten des Patienten bei Kunstfehlern.“

Des Weiteren forderte Reimann nicht nur Sitz und Rederecht sondern vor allem ein Stimmrecht der Patientenvertreter im Gesundheitsausschuss und die Verankerung einer stärkeren Verpflichtung der Krankenkassen zur Unterstützung der Patienten im Sozialgesetzbuch SGB5. Es sei bisher auch nicht erkennbar, durch Folgeanträge an den Fehlern im Patientenrechtegesetz noch etwas grundsätzlich ändern zu können. Reimann mahnte Bürgerbeteiligung und die Übertragung der gesundheitspolitischen Entscheidungen an das Gemeinwesen an. In der anschließenden Diskussion ging es um Zukunftsperspektiven wie den zu erwartenden verschärften Pflegenotstand - in Anbetracht der Überalterung unserer Gesellschaft fehlen in 30 Jahren 200.000 - 300.000 Kräfte in der Altenpflege.

Die Geschäftsführerin des gemeinnützigen Verein Pro-Patient e.V. aktiv werden Andrea Zelesnik wies in ihrem Vortrag auf die zwingend notwendige Unterstützung, Ermutigung und Begleitung von chronisch Kranken, Erkrankten, deren Angehörigen und auch Gesunden im Dschungel  des Gesundheits- und Sozialversicherungssystems hin.

Am Beispiel einer Patientin wurde deutlich, wie die Patientin ohne die Hilfe von Frau Zelesnik den Gesetzesmühlen zum Opfer gefallen wäre.  Nur mit der Unterstützung und Begleitung der Patienten auf dem Weg durch die Institutionen, wie: Krankenkasse,  Jobcenter,  Agentur für Arbeit, Deutsche Rentenversicherung, Arbeitgeber und dem Integrationsamt ist es gelungen den Arbeitsplatz der Patientin zu erhalten und die finanzielle, damit auch die gesundheitliche Situation zu stabilisieren.

Sie schilderte den schweren Lebensweg, einer durch einen ärztlichen Kunstfehler verursachten,  seit ihrer Kindheit nierenkranken Patientin und dass diese ihren Lebensmut vor allem dank familiärer, sozialer und professioneller  Unterstützung nie verloren hatte. Diese war  im Publikum anwesend, meldete sich in der Diskussion und beeindruckte durch ihre souveräne, fröhliche und positive Ausstrahlung.

Damit zeigte Frau Zelesnik auf, wie wichtig es ist für Betroffene, den Mut zu haben, sich Hilfe und Unterstützung zu holen und kam zu dem Motto der Veranstaltung „Der Gesundheitstag macht Mut“!

Der Internist und Diabetologe Dr. Hans-Joachim Lembcke stellte eine Verbindung zwischen Medizin und Gesellschaftspolitik her mit dem Hinweis darauf, dass das Metabolische Syndrom, das gleichermaßen dem Diabetes wie den Herzkreislauferkrankungen und vielen Nierenleiden zugrunde liegt nichts anderes ist als das Ergebnis einer falschen Lebensweise: Ungesundes Essen und zu viel Nahrungszufuhr, Bewegungsmangel und fehlende Prophylaxe.

Nur 33 Prozent der Diabetiker in Deutschland werden behandelt, 7 Prozent davon ausreichend. In deutlicher Sprache brachte er die Problematik auf den Punkt: „Die jungen Dicken werden vor ihren Eltern sterben. Schon im Mutterleib wird, unabhängig von erblicher Disposition, der Diabetes durch falschen Umgang mit dem eigenen Körper angelegt.

Der Diabetes ist volkswirtschaftlich die teuerste Erkrankung überhaupt.“ Dabei wäre Diabetes ursprünglich gar keine Krankheit, sondern eine in der Evolution entstandene Strategie des menschlichen Stoffwechsels, sich für Hungerphasen durch Erhöhung des Blutzuckerspiegels zu wappnen.

Erst im Zeitalter einer Überernährung, die es seit 60 Jahren gibt habe sich der Diabetes zu einer Massenerkrankung entwickelt. Ein gesellschaftliches Fehlverhalten im Umgang mit dem eigenen Körper werde konsequent in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Als Sonderfall beschrieb er den sogenannten Gestationsdiabetes bei Schwangeren und wies darauf hin, dass Deutschland bis vor kurzem die höchste Kindersterblichkeit in den westlichen Industrieländern gehabt hätte.

Allgemein üblich wäre es, nicht die besten Therapieformen anzuwenden, sondern vor allem kostengünstig zu arbeiten mit solchen Konsequenzen, dass es zwar möglich ist, bei Raucherbeinen neue Adern wachsen zu lassen, stattdessen aber amputiert wird. „Würden wir die medizinische Behandlung richtig machen würden wir langfristig, auf Jahrzehnte und Biographien bezogen die Kosten senken.

Die Politik denkt aber nicht darüber nach, was in 20 Jahren ist,“ so Lembcke.

Als Ansätze einer richtigen Lebensführung, die vor dem Metabolischen Syndrom schützt nannte Lembcke: 3 mal in der Woche Sport treiben, viel Obst und Gemüse essen, Fleisch nur in begrenzten Mengen (nicht täglich) zu sich nehmen - und vor allem eigenverantwortlich und gesundheitsbewusst mit Freude durch das Leben zu gehen damit auch das Alter eine schöne Lebensphase wird.

Im Anschluss informierte Petra Wrehde von der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig über die Anrechnung von Kindererziehungs- Studien- und Ausbildungszeiten im Rentensystem, über Erwerbsminderungsrenten, Berufsunfähigkeitsversiche-rungen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Rentenbezug.

Anhand der Fragen aus dem Publikum wurde sehr deutlich, dass selbst anwesende Experten, u.a. ein Jurist ein sehr hohes Interesse an gezielter Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit zeigten.

Das Duo Psalmenmann ließ mit „Liedern, die Ohr und Herz berühren“ den Gesundheitstag ausklingen, der von den Veranstaltern als guter Erfolg angesehen wurde.

Mit freundlicher Unterstützung